Die Lachkrankheit
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Geschätzte Leser des Mittelstandsblogs,
vorige Woche habe ich in meinem 62. Beitrag eine Science Fiction Story mit Happy End angekündigt. Hier ist sie:
Vorab noch ein kurzer Rückblick auf die Vorgeschichte aus dem 1. Teil:
Unter der Scannerkasse eines Supermarkts im Wiener Stadtteil Erdberg, in der Nähe des Fiakerplatzes, liegen seit vielen Monaten zwei einsame Münzen: eine kleine Zwanzig-Cent-Münze und ein winziges Ein-Cent-Stück. Nach und nach, über Wochen und Monate, entwickelte sich zwischen den beiden Münzen – durch den Mangel an Zukunftsaussichten in Kombination mit bedrückender Langeweile – ein Phänomen, für das weder das Heisenberg-Modell lokalisierter magnetischer Momente noch die Stoner-Theorie des Bandelektronen-Magnetismus eine wissenschaftlich fundierte Erklärung liefern konnten: Die beiden Metalle begannen, miteinander zu kommunizieren, indem sie ihre Erlebnisse aus der Vergangenheit austauschten. Und so begann unsere Geschichte, die der Senior-Münz, wie die Zwanzig-Cent-Münze sich nannte, dem kleinen Junior-Münz an den langen Tagen und Nächten in der Gefangenschaft im Supermarkt des Stakeholder-Konzerns unter der Scannerkasse erzählte.
So geht die Geschichte weiter:
„Okay. Das ist eine Geschichte für die Schneeflockengeneration, also mit glücklichem Ende“, begann der Senior-Münz seine Erzählung, mit der er den Junior wieder beruhigen wollte. „Sie handelt vom Ausbruch, der Eskalation und Überwindung der Linkshänder-Pandemie – sie wird dir gefallen, denn sie ist positiv irritierend und bedrückend erheiternd.“
Die Ereignisse, die in dieser Sciencefiction-Geschichte geschildert werden, spielen in einer fernen Galaxie, Millionen Lichtjahre von unserer wunderschönen Erde entfernt, auf dem Planeten Indebitamento. Der Planet war fest in der Hand der Virtualisten.
Die Ideologie der Virtualisten war auf drei Grundsätzen aufgebaut:
- Artikel 1. Nur ein Mensch, der sich von der Vorstellung befreit, er müsse arbeiten, um Geld zu verdienen, kann ein tüchtiger Virtualist sein.
- Artikel 2. Nur ein Geschäft ohne reale Grundlage, ohne real existierende Produkte oder Dienstleistungen ist ein Business, das den ideologischen Maximen des Virtualismus entspricht.
- Artikel 3. Virtualismus ist ein Glasperlenspiel für Eingeweihte. Nur jene Indebitamentoren, die über die elitäre Gnade der moralischen Relativität verfügen, können virtuelle Glasperlenspieler sein.
Geld aus dem Nichts
Das Geschäftsmodell der Virtualisten war einfach, aber effizient und effektiv: Sie verfügten über das Monopol der Geldschöpfung, indem sie Geld aus dem Nichts erschaffen konnten. Sie nannten es Fiat Money („Es werde Geld!“)
Die Indebtunion
Die Indebtunion war ein administrativer Lobbyverband, der durch Kommissare regiert wurde. Die Union bildete einen Binnenmarkt mit einheitlicher Währung, aber mit unterschiedlichen Steuersätzen, Lebensgewohnheiten und Traditionen, in denen die Untertanen von den wesentlichsten Entscheidungen ausgeschlossen waren. Das „Parlament“ der Indebtunion konnte nicht einmal einen Gesetzesantrag stellen. Der Indebto, die einheitliche Währung der Indebtunion, die ursprünglich als Wachstumsmotor gedacht war, hatte sich bald als Koloss auf tönernen Füßen entpuppt und wurde stattdessen mehr und mehr als Erpressungsmittel gegen die Bewohner der Provinzstaaten eingesetzt. „Der Indebto muss gerettet werden!“
Governatoren, Advertorials und verbotene Wörter
Die Governatoren der Provinzregierungen, die in der Indebtunion zusammengeschlossen waren, gehörten zur Kaste der professionellen Politdarsteller, welche wiederum von den Lobbyisten der Virtual-Konzerne und den Berichten der Advertorial-Medien abhängig war.
Die Advertorial-Medien wiederum lebten wirtschaftlich von den gesponserten Berichten der Virtualisten, Advertorials genannt. Diese Advertorials waren eine Kombination aus Advertising und Editorials. Es waren PR-Artikel, die wie redaktionelle Berichte aussahen. Die meisten Untertanen wussten nicht, dass die Reportagen der Advertorialisten von den Virtualisten bezahlt und über Nachrichtenagenturen verfasst und verbreitet wurden.
Die obersten Politdarsteller verfügten über die Zwangsabgaben ihrer Untertanen. Zusätzlich hatten sie die Möglichkeit, sich von den Virtualisten Fiat Money zu borgen. Zwangsabgaben und Fiat Geld durften sie verteilen. Die Governatoren fanden es lästig, dass sie sich in Abständen von 4 oder 5 Jahren von den Untertanen als Politdarsteller wählen lassen mussten. Die ständig steigende Anzahl von verbotenen Wörtern aus der political correctness wurden über den Rat für auswärtige Beziehungen (RAFAB) festgelegt.
Die Macht der Virtualisten und der von ihnen wirtschaftlich abhängigen Advertorial-Medien in der Indebtunion stieg ständig, während die Untertanen des Mittelstands durch Geldentwertung, prekäre Dienstverhältnisse, steigende Mieten und steigende Kosten für die Lebenshaltung mehr und mehr unter wirtschaftlichen Druck gerieten. Die Klein- und Mittelbetriebe und privaten Haushalte ächzten unter immer größerer Steuerlast, während große, virtuelle Finanzlobbies und multinationale Unternehmen der Virtualisten ihr Vermögen steuerfrei in Steueroasen junckerten.
Deficit Spesa
Die Angewohnheit der Politdarsteller, mehr Geld auszugeben, als sie durch die Steuern der Untertanen eingenommen hatten, nannte man Deficit Spesa. Seit der berühmte Ökonom John Maynesianus und seine Anhänger den ideologischen Rahmen durch eine Monetary Money Theory dafür entwickelt hatten, verbreitete sich die Methode rasch auf dem Planeten. Auf diese Weise wuchs der Schuldenberg der Indebtunion Tag zu Tag, die Schulden pro Underling betrugen bald mehr als das Doppelte des Medianeinkommens.
Investitionen, Produktivität, Staatsverschuldung, Staatsquoten und das reale Bruttonationalprodukt sanken Jahr für Jahr, obwohl die Statistik kreativ verbessert wurde, indem die Virtualstatistiker der Indebtunion auch Zigarettenschmuggel, Prostitution und später auch Korruptionsgewinne ins Bruttoinlandsprodukt einrechneten. Das Ansteigen der Teuerungsraten konnte selbst durch geschicktes Anpassen der Warenkörbe zur Berechnung der Geldentwertung immer weniger verschleiert werden, die Untertanen ächzten unter der realen Inflation, die von den Advertorial-Medien als „gefühlte Inflation“ geframed wurde. Die Verschuldung der Haushalte wuchs kontinuierlich, und immer weniger Untertanen wollten sparen, nicht einmal die Konsumfuturisten des Mittelstands, welche die Finanzinstitute mit ihren sogenannten Sparbüchern jahrzehntelang brav durch negative Realverzinsung gesponsert hatten.
Die Virtualindustrie löste sich immer mehr von der Realwirtschaft, und das Wetten auf derivative Finanzprodukte wurde immer skurriler, bald investierten die großen Virtualinstitute nicht mehr in die Realwirtschaft, sondern nur mehr in virtuelle Geschäfte, indem sie auf Staatsanleihen, Credit Default Swaps, Optionen, Puts und Calls oder auf Blasenpumpen im Aktien- und Immobilienbereich wetteten.
Hingegen mussten kleine und mittlere Geschäftsbanken, die Kredite an Private und Unternehmen für reale Wirtschaftsleistungen, Produkte, Dienstleistungen und Innovationen vergeben wollten, gegenüber den Hedgefonds, die mit virtuellen Derivaten handelten, gravierende Nachteile in Kauf nehmen. Denn für einen Kredit in die Realwirtschaft bürgten nicht alle Bürger als Bürgen, sondern nur die Kreditnehmer. Im Gegensatz zum Factoringsystem der Staatsanleihen von zukünftigen Zwangsabgaben der Untertanen, welches es den Virtualisten ermöglichte, Zinsen für ein Risiko, das es nicht gab, an den Staat zu verrechnen. Denn die Untertanen waren immer in der Haftung, aber große Kapitalsammelbecken „too big to fail“. Gleichzeitig mit der Liberalisierung der Regelungen für spekulative Hedgefonds wurden die Vorschriften für Geschäftsbanken und Kredite für die Realwirtschaft immer mehr verschärft. Mit den Bestimmungen von Basilea III wurden Kredite für Produkt- und Prozessinnovationen in der Realwirtschaft erschwert, verbaselt. Bald war das Volumen der virtuellen globalen Finanztransaktionen mehr als hundert Mal höher als das Bruttonationalprodukt des gesamten Planeten.
Die Subprimatenkrise
Das Ende nahm seinen Anfang, als Virtual Inc., einer der größten virtuellen Hedgefonds des Planeten, durch die Subprimatenkrise zusammenbrach und mit Milliarden von Steuergeldern „gerettet“ werden musste. Als anschließend auch die Immobilienblase platzte, beschloss die Zentralbank der Indebtunion, die Zinsen für die Finanzindustrie auf null zu reduzieren. Die Nullzinspolitik trieb wiederum den Prozess der Finanzindustrialisierung weiter voran. Durch die Gratisgeldpolitik drehte sich das Spekulations-Karussell noch schneller als je zuvor.
Die Mikrobe
Die Katastrophe auf Indebitamento begann aber erst etliche Jahre nach der Subprimatenkrise, als man feststellte, dass in der Millionenstadt Bat-City eine neue, mutierte Art einer Mikrobe aufgetreten war, welche in einigen Fällen zu schwerer Erkrankung führte. Für die Mehrheit der Bewohner des Planeten war jedoch die Mikrobe keine Gefahr, sie erkrankten nicht einmal. Aber die neue Mikrobe bahnte sich medial, verstärkt durch schreckliche Bilder in den Advertorial-Medien, ihren brachialen Weg durch die Indebtunion und löste auch bei einem großten Teil der nicht-erkrankten Bewohnern des Planeten eine beobachtbare Einschränkung ihrer kognitiven Fähigkeiten aus. Diese Freunde des betreuten Denkens saßen stundenlang vor ihren Starephones und Virtual-Connectorgeräten und sahen Nach-Richten der Advertorial-Medien oder spielten virtuelle Spiele mit ihren Starephones und virtuellen Connectorgeräten, die sie permanent eingeschaltet hatten. Bald würde jeder jemanden kennen, der an oder mit dieser Krankheit verstorben wäre …
Die Situation verschlechterte sich, als in allen Advertorial-Medien verkündet wurde, Wissenschaftler hätten festgestellt, dass die Krankheit nicht nur sehr gefährlich, sondern auch hoch ansteckend sei. Untersuchungen ergaben, dass die gefährliche Mikrobe sich hauptsächlich auf die linke Körperhälfte und die linke Seite des Gehirns konzentrierte, wo sich die Logik und der realitätsbezogene, analytische Verstand befinden. Ein äußeres Zeichen der Erkrankung war, dass die Erkrankten begannen, für alle Tätigkeiten nur mehr ihre linke Hand zu verwenden, weshalb man das Leiden auch fälschlicherweise die „Linkshänder-Krankheit“ nannte.
Die an der Linkshänder-Erkrankung Erkrankten waren geborene, native Rechtshänder, aber mit fortschreitendem Stadium der Erkrankung begannen sie, ihre Motorik und den Bewegungsablauf jenen von „nativen Linkshändern“ anzupassen, indem sie ungeübt anfingen, mit der linken Hand zu schreiben und typisch clumsy mit der linken Hand die Tasten der Starephones und Connectorgeräte zu drücken. Forschungen ergaben, dass die Bewohner von Indebitamento, die an der Linkshänderkrankheit erkrankt waren, nicht mehr zwischen Wahr und Falsch unterscheiden konnten. Um dieses Defizit auszugleichen, entwickelten sie rasch und zweifelsfrei einen untrüglichen und unverrückbaren Sinn für das, was Gut oder Böse war. Sie erklärten, dass sie Polaritäten einfacher wahrnehmen konnten, indem sie „das Gute und das Böse“ klarer und eindeutiger fühlen und identifizieren konnten als die nicht Erkrankten nativen Linkshänder und nativen Rechtshänder.
Nach Meinung der Virologen, Experten und Komplexitätsforscher, die regelmäßig in den Advertorial-Sendungen auftraten, erfolgte die Übertragung der Krankheit durch das Händeschütteln oder durch Umarmungen bei Begrüßungen, was nach dem Bekanntwerden einer Gruppendiskussion eines Instituts für Komplexitätsforschung unverzüglich verboten wurde.
Medial bekannte Wissenschaftler glaubten die an der Linkshänder-Krankheit Erkrankten daran zu erkennen, dass die mit dem Linkshänder-Virus Infizierten zur Begrüßung immer und ausnahmslos die linke Hand ausstreckten. Also beschlossen die Governatoren, die Zahl der Linkshänder zu ermitteln und alle Linkshänder zu „isolieren“, damit die Krankheit, die mittlerweile von der Planet Indebitamento Health Organisation zu einer Pandemie ausgerufen worden war, sich nicht weiter ausbreiten konnte. Die Gefährlichkeit der Linkshänder-Krankheit bestand auch darin, dass man die Mikrobe in einem frühen Stadium der Ansteckung nicht bemerkte, weil man sich völlig gesund fühlte. Als einige Wissenschaftler diese mikrobische Hinterlist entdeckten, wurde nach einer Testmethode zur empirischen Erfassung dieser „asymptomatischen Linkshänder-Kranken“ gesucht. Es war verboten, sich bei der Begrüßung die Hand zu geben, man stieß sich stattdessen mit den Schuhen. Manche Abonnenten des advertorial betreuten Denkens fanden das bald cool und lustig, da dieses Verhalten auch auf den Kanälen der Advertorial-Medien und auf Starephones gezeigt wurde und es viele Likes dafür gab.
Der BWF-Test und der Linkshandschuh
Ein Linkshand-Forscher hatte die Idee, einen Test zu verwenden, den er BWF-Test nannte: BWF war die Abkürzung für Ball-Wurf-Fang-Test. Bei diesem Test wurde der jeweiligen Testperson ein kleiner Ball zugeworfen, der mit einer Hand gefangen werden musste. Fing die Testperson den Ball mit der linken Hand, wurde sie als linkshändige Person registriert und galt als potenzielles Sicherheitsrisiko. Der Ball-Wurf-Fang-Test wurde oft mit bis zu 45 Ballwurf-Zyklen durchgeführt, manchmal jedoch auch nur mit bis zu 30 Ballwurf-Zyklen, denn die Anzahl der Wurfzyklen war nicht standardisiert, und die testenden Labors mussten diese Daten auch nicht an die Behörden weitergeben.
Aber wie konnte man die nativen Linkshänder von den mikrobigen Linkshändern unterscheiden? Für die nativen Linkshänder bestand die selbstbestimmte Möglichkeit, sich zu entscheiden, den Ball auch mit der rechten Hand zu fangen, während die Erkrankten zwangsbestimmt durch die von der Mikrobe ausgelöste De-Aktivierung der linken Gehirnhälfte zwanghaft immer mit der linken Hand fangen mussten. Dadurch war die Möglichkeit von falsch positiven Testergebnissen nach Meinung einzelner Experten „sehr gering“.
Die Fallzahlen
Bald wurden auf Indebitamento landauf und landab die Bewohner mit dem BWF-Test getestet. Der Wettbewerb über die meisten positiven Tests, genannt „Fallzahlen“, wurde in den Advertorial-Medien ununterbrochen befeuert, die Governatoren förderten aktive Berichterstattungen der Medien über den BWF-Test mit Sonderzahlungen aus den steuergespeisten Töpfen der Advertorialförderung. Die mediale Begeisterung über den Test, gepaart mit einer kontinuierlichen Welle der Angst, bewirkte, dass die Fallzahlen für mikrobisch-infizierte Linkshänder kontinuierlich und unaufhörlich anstiegen. Das ganze Land war erstaunt, wie viele Linkshänder es im Lande gab. Es wurden immer mehr. Die Advertorial-Medien berichteten immer höhere Fallzahlen an Linkskranken, ohne jedoch mitzuteilen, wie viele Personen überhaupt getestet wurden, sodass es nicht möglich war, die Anzahl der „positiv“ Getesteten in Prozent zu errechnen. Je mehr getestet wurde, desto mehr stiegen die Fallzahlen. Die Advertorialmedien zeigten viele Tests, man konnte sehen, wie den Probanden die Tennisbälle zugeworfen wurden und wie die „Infizierten“ sie mit der gefürchteten linken Hand auffingen.
Angst und Panik wurden täglich größer, das Misstrauen gegenüber den ansteckenden Linkshänder-Kranken wuchs. Die Spaltung der Gesellschaft nahm ein gefährliches Ausmaß an. Die Gesundheitsämter, Ministerien und Governatoren hatten solchen Respekt vor der virtualistischen Krankheit, dass sie sogar die Definition der Erkrankten veränderten: Nicht nur Untertanen, die AN der Linkshänder-Krankheit verstorben waren, sondern auch MIT-Verstorbene, also jene, die beim Linkshändertest durchgefallen und an anderen Krankheiten verstorben waren, wurden in der Statistik als Mikrobentote geführt.
Die Mikrobe mutierte unaufhaltsam, sie wurde so ansteckend und gefährlich, dass man einen speziellen orthopädischen Handschuh entwickelte, den alle Untertanen von Indebitamento in der Öffentlichkeit anzuziehen hatten und nur zum BWF-Test abnehmen durften. Der Handschuh verhinderte, dass asymptomatisch Erkrankte – und dazu zählten alle, die von sich behaupten, gesund zu sein – durch einen Handshake versehentlich die Mikrobe übertragen konnten.
Aber dann kamen plötzlich Zweifel an der Validität des BWF-Tests auf, als eine Gruppe von Wissenschaftlern behauptete, sie hätten beobachtet, dass die Linkskranken nach einer bestimmten Anzahl von Wiederholungen, beginnend mit etwa 30 Ballwurf-Zyklen, anfingen, den Ball nicht mehr zwanghaft mit der linken Hand, sondern zwischendurch auch mal mit der rechten Hand zu fangen. Was hatte das zu bedeuten? Bald bildeten sich Verschwörungstheorien. Ein Klima des Misstrauens verbreitete sich auf Indebitamento. Advertorial-Medien begannen, jeden, dessen eigene Meinung von der offiziellen Wahrheit abwich, zu schwurbeln. Diese unsolidarischen Schwurbler und egoistischen Selbstdenker, die nichts ohne kritische Reflexion glauben wollten, wurden vom sozialen Leben ausgeschlossen und zu Linkidioten erklärt.
Der Linkidiot aus Conspira erscheint
Da erschien ein Bio-Bauer aus dem kleinen Dörfchen Conspira in der Provinz Kakanien mit einem Apfelkorb in der Hauptstadt und stellte ihn auf der untersten Stufe der Treppe des Regierungsgebäudes ab – auf der linken Seite, um die Bewohner des Planeten, die die Treppe hinauf- und hinunterstiegen, nicht zu behindern.
Jedem Bewohner des Planeten, der die Treppe hochstieg, schenkte er einen Apfel aus dem Korb und fragte dabei, ob der Korb auf der Treppe links oder rechts stehe. Der Beschenkte antwortete mit Blick auf den Korb: „Der Korb steht links“. Die beschenkte Person stieg dann weiter die Treppe hinauf, um die Aula des Regierungsgebäudes zu betreten, und der Bauer fragte, ob er sie ein Stück begleiten dürfe, denn er wolle sie, oben angelangt, noch etwas fragen. Also stiegen beide die Treppe hinauf. Oben fragte der Bio-Bauer den Beschenkten: „Und jetzt, von hier oben gesehen: Wo steht der Korb mit den Äpfeln Ihrer Meinung nach jetzt?“ Der Beschenkte drehte sich um, damit er von oben nach unten blicken konnte, und antwortete: „Jetzt steht der Korb rechts.“
„Sehen Sie“, sagte er Bio-Bauer, „es ist die Perspektive, auf die es ankommt: Was von unten gesehen links ist, steht von oben gesehen rechts. Als wir nach oben gegangen sind, mussten wir uns umdrehen, um nach unten sehen zu können. Wir mussten also die Perspektive ändern. Das gleiche geschieht mit Governatoren und Advertorial-Medien. Was sie aus der Perspektive der Unteren wahrnehmen, sehen sie als links, aber wenn sie in ihrer Karriere die Stufen nach oben gebuckelt sind und sich zum Hinuntersehen auf den Pöbel gedreht haben, sehen sie das gleiche Bild, das von unten links war, jetzt auf der rechten Seite. Links und rechts sind also keine Kategorien: Es gibt keinen Krieg zwischen links und rechts, der wahre Konflikt besteht zwischen oben und unten. Und zwar zwischen jenen Kapitalsammelbecken, NGOs und dem digital-finanziellen Komplex, die ganz oben auf der Stufe stehen, das sind weniger als 0,01 Prozent, und dem Rest, also uns.“
Als der Apfelkorb leer war, erschien ein Wachoffizier und verhaftete den Bio-Bauern wegen öffentlicher Schwurbelei. Aber es hatten sich bereits einige Bewohner des Planeten am Ort des Geschehens angesammelt, und ein paar hatten das Schauspiel mit ihren Connectorgeräten aufgenommen und stellten das Video ins Internet. Die Advertorial-Medien bezeichneten den Bio-Bauern als Linkidioten, Apfelkorbträger und Verschwörungstheoretiker. Trotz der heftigen Diffamierung durch die Advertorial-Medien verbreitete sich die Demonstration des Biobauern mithilfe von alternativen Anti-Advertorial-Medien. Und bald stellten immer mehr Bewohner des Planeten fest, dass ihre gewählten Governatoren und die angeblich unabhängigen Advertorial-Medien die Treppe hochgegangen waren.
Im Eilzugstempo hatten mehrere Pharmaunternehmen einen Impfstoff gegen die Linkshänder-Krankheit entwickelt, der unverzüglich zugelassen wurde. Die Anti-Linkshänder-Vakzine wurde der Bevölkerung von Indebitamento als Zwangsimpfung verabreicht. Jeder musste sich mit dem Serum impfen lassen.
Der Ausbruch der Lachkrankheit
Mit der Impfung der Bevölkerung stiegen zwar die Gewinne der Pharmafirmen in exponentieller Kurve, aber die Linkshänder-Krankheit blieb davon unbehelligt. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Experten und Komplexitätsforschern schützte die Impfung nicht vor der Ansteckung mit der Linkshänder-Krankheit.
Aber dann passierte etwas, was sich niemand hätte vorstellen können: Nach einigen Monaten bekamen alle Impflinge spontane, situative Lachanfälle, die von einem bestimmten Stimulus ausgelöst wurden. Forscher am Institut für Lachforschung an der Toms & Jerry-Universität fanden heraus, dass dieser Stimulus, also der Auslöser der Lachanfälle, die Ansprachen und Erklärungen von sogenannten Pretendern waren. Als Pretender definierten die Wissenschaftler jene Personen, die Behauptungen aufstellten und diese nach einiger Zeit ins genaue Gegenteil verkehrten, die Luftblasenreden ohne konkrete Inhalte darboten oder spin-doctorierte Reden von Telepromptern ablasen. Das Institut für Komplexitätsforschung fasste es in einem Satz zusammen: „Es ist alles sehr kompliziert!“ Als diese bahnbrechende Erkenntnis über die Advertorial-Medien publiziert wurde, mussten hunderttausende Bewohner von Indebitamento impulsiv und unkontrolliert lachen. Jemand hatte die Idee, jeden Abend zum Sendetermin der Abendnachrichten die Fenster der Wohnungen zu öffnen, und bald hörte man jeden Abend bei der Verkündigung der Nachrichten das schallende Gelächter von abertausenden Bewohnern in den Städten und Dörfern.
Die Folgen der Lachkrankheit für die Pretender, also speziell für Politiker, Experten und Moderatoren der Advertorial-Medien, waren gravierend: Bald konnten keine geheuchelten oder inhaltsleeren Ansprachen mehr gehalten werden, weil die Geimpften und die Impffreien gemeinsam nach der Darbietung geheuchelter Reden in unkontrollierbares Lachen ausbrachen.
Es lachte das ganze Land und schließlich der komplette Planet Indebitamento über Reden von jenen Politikern, in denen unwahre Behauptungen, falsche Versprechungen und sinnentleerte Luftblasen dargeboten und inszeniert wurden.
Die Politik reagierte zunächst mit immer höheren Ausgaben für Eigenwerbung. Die Kosten für Advertorials, die aus den Steuergeldern und Zwangsgebühren der Untertanen finanziert wurden, um deren Wahrnehmung zu manipulieren, stiegen ins Unermessliche. Aber trotz der mit immer mehr Steuergeldern gesponserten Advertorial-Medien war es nicht möglich, die Lachkrankheit zu stoppen. Mehr und mehr Untertanen sahen sich gezwungen, bei den Nachrichten der Advertorial-Medien und den Ansprachen der Politiker ihre Glotzophone-Geräte und ihre Starephones abzuschalten, um das Symptom der Lachkrankheit zu unterdrücken: heftiges Lachen, das durch die Reden von Politikern und Moderatoren beim Ablesen von Agenturmeldungen und Presseerklärungen unvermeidbar ausgelöst wurde.
Die neue Freiheit auf Indebitamento
Als immer mehr Untertanen auf Indebitamento ihre Starephones und Glotzovision-Geräte abschalten mussten, um das heftige, unkontrollierte Lachen bei geheuchelten Politikerreden und medialen Fake News nicht ausbrechen zu lassen, sank auch die Anzahl der Bewohner von Indebitamento, die auf der Straße auf ihre Starephones starrten.
Die Bewohner von Indebitamento hoben Ihre Köpfe und gingen nicht mehr gebückt, sie gingen aufrecht. Dadurch konnten sie einander wieder wahrnehmen, blickten einander wieder in die Augen und lächelten sich zu und grüßten sich, zeigten Respekt. Sie waren keine Untertanen mehr. Durch das Lachen waren sie zu freien, selbstbestimmten Bürgern geworden.
In dem Maß, wie sich die Lachkrankheit nach und nach auf die ganze Bevölkerung ausbreitete, sank die Angst vor der Linkshänder-Krankheit, die sich als eine von vielen Krankheiten entpuppte und die für 0,2 Prozent (also 2 Tausendstel) aller Infizierten tödlich gewesen war. Und als schließlich die Angstpropaganda der Pharmakonzerne, Governatoren und Advertorial-Medien ausblieb, hatten die Bewohner Indebitamentos überhaupt keine Angst mehr vor der Linkshänder-Krankheit.
Die Lachkrankheit zwang die Kaste der Governatoren, entweder nur wahre Behauptungen zu veröffentlichen, oder mehr und mehr zu verstummen. Denn die Lachkrankheit blieb an den Stimulus geheuchelter Politikerreden gebunden. Niemand konnte jemals wieder substanzlose Luftblasen, Lügen, Heucheleien, infantile Nudging-Schmähs, Aufrufe zum Krieg oder Spaltungsversuche ertragen, ohne sofort von heftigen Lachkrämpfen geschüttelt zu werden.
Niemand zahlte die Schulden, welche die Governatoren bei den Virtualisten aufgenommen hatten. Die Virtualisten verloren ihre Einkommensquelle, nämlich das Monopol, Geld aus dem Nichts zu schaffen. Weil jedem unter schallendem Gelächter klar geworden war, dass dieses Fiat Money wertlos war. Auch der Versuch der Virtualisten, ein digitalisiertes Zentralbankgeld einzuführen, ging in schallendem Gelächter unter.
Die Lachkrankheit befreite die Untertanen von der Herrschaft der Virtualisten. So verschwand auch der Druck, sein ganzes Leben im Kampf um seine wirtschaftliche Existenz zu verschwenden. Die Bewohner von Indebitamento entwickelten ein neues, vertieftes Bewusstsein für ihr Dasein. Sie hörten auf, sich gegeneinander aufhetzen zu lassen, sie spielten keine Nullsummenspiele mehr, sie praktizierten ein Leben in konstruktiver Kooperation. Sie entwickelten innovative Produkte, die allen Bewohnern des Planeten nutzten. Sie begannen, Produkte und Dienstleistungen regional zu tauschen. Sie lebten miteinander statt gegeneinander. Sie lebten im Frieden, und sie ließen sich nie mehr spalten. Jeder Versuch von Advertorial-Medien, Governatoren oder Virtualisten, das zu probieren, ging fortan sofort in schallendem Gelächter unter. Ein neues Zeitalter der Freiheit, Selbstbestimmtheit und ein neues Bewusstsein für Zusammenarbeit waren angebrochen auf dem Planeten Indebitamento.
Ein Planet der konstruktiven Kooperation, auf dem viel gelacht wurde.