#glaubandich – Scientology? Nein: Bank!

Die Erzherzog-Karl-Straße in Wien-Donaustadt ist eine der längsten Straßen Wiens.

Unlängst bin ich mit meinem verbrennungsmotorgetriebenen PKW diese kilometerlange Straße von Wien-Donaustadt nach Groß Enzersdorf gefahren und dabei ist, wie schon in den vergangenen Jahren, ein neues Plakatsujet aufgefallen.

Das Plakatsujet zeigt eine junge Frau, die eine Kaugummiblase aufbläst – die Message besteht aus einer Wortkette, welcher ein Rautezeichen in Form eines Doppelkreuzes, eines Hashtags (#) vorangestellt wurde. Ein Hashtag dient zur Kommunikation innerhalb von sozialen Netzwerken, wie etwa Twitter, Facebook, Instagram. Die doppelgekreuzte Wortkette auf dem ersten Plakat besteht aus dem Befehl: #glaubandich.Die Botschaft auf dem Plakat besteht aus einem Wortkette, einer Aufforderung an den Betrachter in der lockerer, zeitgemäßen Du-Form.

Die höfliche, respektvolle Anrede mit „Sie“ gilt heutzutage als „spießig“ und wird nur mehr gebraucht, wenn Journalisten mit Politikern reden. Denn Medien, die oft von sich selbst behaupten, eine objektive vierte Gewalt im Staat zu sein, sollten nicht den Eindruck erwecken, dass sie sich mit Politikerinnen und Politikern verbünden.

Man sucht den Absender der Werbung und stellt mit einiger Überraschung fest, dass das keine Marketingkampagne ist, die uns etwa ein Clearance-Coaching irgendeiner Religionsgemeinschaft wie Scientology verkaufen will, sondern es sich tatsächlich um bezahlte Werbung einer Bank handelt. Eine ganz normale Geschäftsbank fordert ihre Kunden auf, an sich selbst zu glauben. Die Aufforderung der Tag-Line des Billboards ist denkbar simpel: „Glaub an Dich!“

Wenn ein „alter weißer Mann“ mit dem Marketingbackground von dreieinhalb Jahrzehnten in im Markenartikelgeschäft und ehemaliger Geschäftsführer einer Werbeagentur in seinem PKW mit einem alten, bösen Verbrennungsmotor die kilometerlange Erzherzog Karl Straße entlangfährt und dabei durchschnittlich alle fünfhundert Meter mit dem großen 24-Bogen-Plakat der Glaubensbank konfrontiert wird, wo er bedeutungsschwer in Befehlsform aufgefordert wird, an sich selbst und an morgen zu glauben, erschließt sich ihm als Marketing-Profi ausreichend Zeit, über den Zweck dieses Plakates zu rätseln, vor allem über das Konzept, das hinter der Kampagne steht, insbesondere den möglichen Nutzen für die Zielgruppen, also die potentiellen oder derzeitigen Kundinnen und Kunden der Bank.

Tante Jolesch und das Erzherzogspiel

In der Erzherzog-Karl-Straße in Verbindung mit dieser Bankenwerbung musste ich zunächst an das amüsante Erzherzogspiel der Wiener Kaffeehausliteraten denken, welches Friedrich Torberg in seiner Literatursammlung der Tante Jolesch beschrieb, wo es darum ging, dem Erzherzog eine möglichst einfache Testfrage zu stellen und die zumeist unsäglich-falsche Antwort des Erzherzogs vom Fragenden mit einer möglichst noch unsinnigen Begründung in humorvoller Auflösung als „richtig“ zu bewerten. Die Moral des Spiels: der Erzherzog, der Mächtige, hat immer recht, selbst wenn er ein Trottel wäre. Ein Spiel für Intellektuelle mit hohem Spaßfaktor. https://keinzustand.at/walter-schoenthaler/tante-jolesch-und-die-weiterentwicklung-des-erzherzogspiels/

Wo bleibt das Nutzenversprechen der Bank?

Aber im Ernst: Sehr geehrte Bankiers, liebe Sparkasse, liebe Marketingkollegen: Was, bitte, wollen Sie uns denn mit dieser Marketingkampagne sagen?

Ich verwende bewusst das respektvolle „Sie“ für diese Frage – denn erstens bin ich höflich und zweitens sind Banken schlau – immerhin können Zentralbanken und Geschäftsbanken Geld aus dem Nichts schaffen. Sie nennen es Fiat Money, was etwa heißt: „es werde Geld“.

Ist das das Nutzenversprechen an eure Kunden? Bis zum Auftauchen Eures Plakates dachte ich immer, dass ein wesentlicher Teil des Business Models einer Geschäftsbank darauf beruht, Geld gegen Zinsen zu verleihen. Glücklicherweise handelt es sich bei der Glaubenbank um ein seriöses Kreditinstitut mit jahrhundertelangem Renommee und nicht um eine jener Hedgefonds Banken, Marke „too big to fail“, die 2008, um einen globalen Finanzcrash zu vermeiden, mit unseren Steuergeldern gerettet werden mussten, weil sie sich mit Derivaten [Wetten] und Leerverkäufen verspekuliert hatten

Bei Leerverkäufen werden fiktive Produkte von jemanden, der sie nicht hat, an jemanden zum Termin verkauft, der sie real nicht benötigt. Zu einem Termin, beispielsweise in 3 Monaten, weil der Verkäufer die Papiere für die Produkte, z.B. Aktien, zum Datum des Vertragsabschlusses noch nicht besitzt. Er kauft sie erst kurz vor der Lieferung. Der Verkäufer arbeitet natürlich darauf hin, dass die Kurse zum Stichtag sinken werden und die Differenz zwischen dem Verkaufskurs und dem Ankaufskurs zum Termin für den Verkäufer als Gewinn verbleibt.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bankmarketing: Was ist der Consumer Benefit, der Nutzen für einen Bankkunden, der Aufforderung der Bank zu folgen und an sich zu glauben? Ist der Selbstglaube die Unique Service Proposition (USP) – das einzigartige Dienstleistungsversprechen – einer Bank? Ist es einer Bank tatsächlich wichtiger, dass ihre Kreditnehmer an sich „glauben“ als dass sie etwa ihre Bankkredite zurückzahlen können?

#glaubanmorgen

Ein Vorgängerslogan zu #glaubandich war die Kampagne #glaubanmorgen. Auch bei diesem Sujet wurden den potentiellen Kundinnen und Kunden nicht verraten, welchen Produktnutzen die Bank damit konkret verkaufen wollte, denn es fehlte ein Hinweis auf das Produkt.

Was bedeutet das Wort „glauben“ in diesem Zusammenhang? Im Online-Lexikon findet mehr als 500 Synonyme, die meisten in den Kategorien „Ideologie – Überzeugung – Weltanschauung – Religion“.

Bekommt man einen Bankkredit neuerdings schon deshalb, bloß weil man an sich glaubt? Oder ist dieser Glaube an sich selbst und an „morgen“, der Morgenglaube nur eine Façon de parler, eine bloße Redensart, ein neues Framing, wie wir es so oft seit fast zwei Jahren in der politischen und wirtschaftlichen Welt der Private-Public-Partnerships beobachten können? 

Seit der Corona-Krise erleben wir in steigender Intensität und Ausformung, dass private Unternehmen öffentliche Aufgaben des Staates übernommen haben, beispielsweise die Zensur von Inhalten durch private, marktbeherrschende, globale Plattform-Unternehmen, wie Facebook und YouTube.

Fangen jetzt Geschäftsbanken und multinationale Konzerne an, uns Unterricht in Glaubenshaltungen zu geben?

In der vor-coronalen Zeit gab noch es eine klare Trennung zwischen den Glaubenssätzen der politischen Welt und dem Privaten. Diese Trennung der Realwelt der Wirtschaft von der Ideologie politischer Visionen wurde durch Corona aufgehoben.  Verschiebt sich da gerade etwas, wie Welt-am-Sonntag-Herausgeber Stefan Aust Ende November 2020 in dem Artikel „Der Angriff des Staates auf das Private“ vermutete? https://www.welt.de/regionales/hamburg/article221195938/Stefan-Aust-Nun-wird-in-die-familiaeren-Einheiten-buergerlicher-Bereiche-eingegriffen.html

Gehört der Glaube zu den Key Performance Indicators (K.P.I.) einer Bank? [Ich frage für den Investor Herrn René Benko] https://de.wikipedia.org/wiki/Ren%C3%A9_Benko

Wäre es nicht schon nach dem Beinahe-Zusammenbruch des Finanzsystems 2007/2008, steigender Geldentwertung, Wettbewerbsverzerrungen durch „Quantitative Easing“ (Kauf bestimmter Unternehmensanleihen durch die EZB) und Negativzinsen für Spareinlagen für die Öffentlichkeit nach den Erfahrungen von 2007/2008 und der Hype Alpe Adria Pleite – Privatisierung von Bankgewinnen und Sozialisierung von Bankverlusten – nicht ein wesentlicher Key Performance Indicator, zu wissen, ob die Bank, der man sein Geld anvertraut, seriös finanziert ist?

Wie hoch das Eigenkapital einer Glaubensbank in Prozent von der Gesamtsumme? Wie hoch ist der Zinssatz für Investitionskredite? Und was passiert, wenn der morgen- und selbstgläubige Kreditnehmer den Kredit nicht zurückzahlen kann, wie beispielsweise Herr René Benko, der jahrelang von Banken, Politik und Leitmedien hofiert wurde, bis er eine Milliardenpleite hingelegt hat und die Banken um hunderte Millionen erleichtert hat? Reicht es zu einem erfolgreichen Leben, an sich selbst und an morgen zu glauben? Oder sollte ein Unternehmer, der ein Start-up gründen möchte, anstatt an sich selbst und „morgen“ zu glauben besser an einem innovativen Geschäftsmodell mit einzigartigem Customer Benefit und einem soliden Business Plan arbeiten – sodass nicht nur der Kreditnehmer selbst, sondern auch eine Geschäftsbank oder Investor überzeugt werden kann, dass der Business Plan auch morgen noch funktioniert?

An welches „morgen“ möchte unsere Glaubensbank uns glauben lassen?

Wie sieht „das Morgen“, an das wir glauben sollen, eigentlich aus? Ist die Welt, in der wir morgen leben sollen, eine lineare Extrapolation der neuen Normalität? Wird es morgen, in der Welt der vierten industriellen Revolution, der künstlichen Intelligenz, der Simulation der Realität durch mediale Narrative, der Plattformökonomie und einem Dutzend weiterer Megatrends überhaupt noch einen Mittelstand geben?

Wie sieht eine Welt ohne Klein- und Mittelbetriebe aus, nach einem Great Reset, von dem das World Economic Forum auf seiner Website und WEF-Gründer Klaus Schwab in seinem Buch „Covid-19: The Great Reset“ phantasiert?

Droht uns die Abschaffung der Geschäftsbanken und des Bargelds und ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ in Form einer CBDC, einer digitalen Zentralbankwährung, welche programmierbar ist und an Bedingungen und soziales Wohlverhalten nach dem Chinesischem Social Credit System gekoppelt sein kann?

Kommt der digital-korporative Öko-Sozialismus „You will own nothing and you`ll be happy“ in seine finale Phase, wie uns das World Economic Forum in einem seiner Videos in aller Einfachheit vorschwärmt?

#glaubandich – Das Ego als Glaubensbekenntnis?

Ist das eigene Ego als Glaubensbekenntnis ausreichend bankentauglich? Was würde sich ändern, wenn man an einen morgigen Tag nicht „glauben“ würde, sondern stattdessen an morgen denken, für morgen planen würde? Wird „morgen“ nicht ohne den Glauben daran ohnehin stattfinden? Macht es Sinn, der Zukunft „morgengläubig“ und passiv anstatt aktiv planend und kritisch, aber in optimistischer Grundhaltung, entgegenzutreten?

Für jedes Wort gibt es ein Gegenwort, ein Antonym, welches das Gegenteil ausdrückt.

Was wäre das Gegenwort zum Morgenglauben? … – #abendwissen?

Dass Geschäftsbanken mit der derzeitigen Zinspolitik und der Digitalisierung der Geschäftsmodelle für das Banking mit der analogen Kostenstruktur als Geschäftsbank mit dem Kreditgeschäft nicht mehr so profitabel sein können wie seit dem Beinahe-Zusammenbruch des Finanzsystems vor eineinhalb Jahrzehnten und durch ihre analoge Struktur unter enormen Kostendruck stehen, ist logisch.

Aber die Morgenkampagne wirft die Frage auf, ob die Geschäftsbanken unter den Bedingungen von digitalen Zentralbankwährungen auch „morgen“ überleben werden können. Und falls ja, welche Funktion werden die Geschäftsbanken dann ausüben? Werden sie noch Kredite gegen Zinsen vergeben. Oder werden die Geschäftsbanken nach der Einführung der CBDC zum Vollzugsorgan ideologischer Transformationen, indem sie die Menschen mit teuren Werbekampagnen auffordern, an etwas zu glauben, anstatt etwas zu wissen?

Geld für Kredite der Realwirtschaft oder Glaube als Simulation?

Banken sind volkswirtschaftlich bedeutsame, profane, gewinnorientierte Unternehmen, die durch die Bankkonzession, die sie vom Staat erhalten haben, das Recht besitzen, Kredit zu schaffen und gegen Zinsen zu verleihen.

Geschäftsbanken und Sparkassen erfüllen eine wichtige Funktion in einer freien Wirtschaft, vor allem für den Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirtschaft.

Bleibt also zu hoffen, dass es Geschäftsbanken auch in Zukunft geben wird und Banken mit oder ohne den „Great Reset“ ihr Geschäftsmodell als Serviceorganisationen der Realwirtschaft in Zuge der Corona-Krise nicht zu einer Erziehungs- und Religionsgemeinschaft modifizieren, welches passiven Morgenglauben anstelle von aktivem, eigenverantwortlichem Denken propagiert.

Denn seit dem Ende des Mittelalters ist Wohlstand nicht durch „glauben“ entstanden, sondern durch innovative Geschäftskonzepte und Entrepreneurship auf der Grundlage von kritischem Denken und selbstbestimmtem Handeln.

Ein Kommentar

  1. Der Slogan ist schon ein alter Hut – offenbar in grellem, neuen Kostüm. In der Sparkasse Mürzzuschlag ist er schon Teil des Mobiliars – als Barrelief in der Holzvertäfelung.
    Als der Slogan aufkam, hab ich umgehend um Expansionsfinanzierung angesucht – nach 25 Jahren als mehr oder weniger erfolgreicher Galerist. Du kannst dir denken, was dabei rausgekommen ist.

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