Der Siegeszug der Investoren und der Rückzug der Unternehmer.
Der Siegeszug der Investoren und der Rückzug der Unternehmer. Und warum Sie, wenn Sie erwerbstätig sind, den Gläubigern der Republik Österreich mehr als 84.000 Euro schulden.
- Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, befinden sich Investoren und Konzerne auf einem beispiellosen Siegeszug gegen Unternehmer und eigentümergeführten Unternehmen. Parallel dazu hat sich auch die Berichterstattung der Medien von Unternehmern zu Investoren verschoben.
Überprüfen Sie das selbst und machen Sie den einfachen Investor vs. Unternehmer- Test: Geben Sie das Wort „Investor deutsch“ in Ihre Suchmaschine ein, wobei Sie nur nach deutschsprachigen Artikeln suchen lassen. Und dann machen Sie das gleiche mit dem Wort „Unternehmer“.
Die Trefferliste der Suchmaschine Google für das Wort „Investor deutsch“ listet mehr als 70 Millionen Hits auf, während der Begriff „Unternehmer“ nur knapp 10 Millionen Treffer erbringt.
Der Begriff „Investor“ generiert also siebenmal mehr mediale Aufmerksamkeit als der Begriff „Unternehmer“. Diese Entwicklung war nicht immer zu beobachten, sondern hat sich erst während der letzten zwei Jahrzehnte in wachsender Geschwindigkeit ergeben.
Investoren sind keine Unternehmer
Aber sind Unternehmer und Investoren nicht sowieso dasselbe? Sind nicht alle Unternehmer auch Investoren? Und sind nicht alle Investoren auch Unternehmer? Es wird oft so behauptet und berichtet. Doch dies ist falsch. Denn die synonyme Verwendung der beiden Begriffe beruht auf einer fatalen Verwechslung: Jeder Unternehmer ist ein Investor, aber nicht jeder Investor ist ein Unternehmer.
Warum? Der Unternehmer will ein überlegenes Produkt oder eine Dienstleistung anbieten und mit Gewinn verkaufen. Dazu benötigt er einen überlegenen Kundennutzen. Deshalb hat der Unternehmer unablässig den Markt, seine Kunden und den Nutzen seiner Produkte und Dienstleistungen im Auge.
Der Finanzinvestor hingegen ist Experte für Kredit und Geld, er orientiert sich am Shareholder Value, also am Wert seiner Anteilspapiere. Der Börsenticker ist sein Fernsehprogramm, in dem er die Kursentwicklung beobachten kann. Ein Finanzinvestor muss von der Führung der Unternehmen, in die er investiert, gar nichts verstehen. Bei auftretenden Schwierigkeiten verkauft er seine Papiere.
Der Unternehmer als Eigentümer kümmert sich um sein Unternehmen bei jedem Wetter, er kämpft gegen auftretende Schwierigkeiten, denkt in Generationen, kann und will auch nicht verkaufen, sein persönliches Schicksal ist mit seinem Unternehmen eng verbunden. Auch der Unternehmer wirtschaftet nicht aus rein altruistischen Motiven. Denn er will und muss Gewinne machen, um wirtschaftlich existieren und wieder in sein Unternehmen investieren zu können. Der Fokus des Unternehmers liegt aber nicht auf dem Shareholder Value, sondern auf dem Customer Value, also auf dem Markt. Unternehmer arbeiten an der kontinuierlichen Verbesserung ihrer Produkte, an innovativen Prozessen und Dienstleistungen, an der Innovation und am Marketing ihres Customer Values, ihres Nutzenversprechens für die Kunden.
Unternehmen nicht wie Investoren führen
Eine innovative, wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft braucht beides, braucht Investoren ebenso wie Unternehmer. Aber der Machtzuwachs der Konzerne hat dazu geführt, dass die Grundsätze von Investoren auf die Unternehmensführung angewendet wurden, was zu gravierenden Fehlentwicklungen, vor allem zur Entwicklung von Monopolen, geführt hat. Durch unbegrenztes, zinsenloses Fiat Money, der Schöpfung von zusätzlichem Giralgeld durch Zentralbanken und Banken aus der Luft sowie durch das Quantitative Easing, dem Aufkauf von Unternehmens- oder Staatsanleihen durch die Zentralbanken, werden die Aktienkurse künstlich aufgeblasen. Diese künstliche Geldschöpfung durch monetäre Blasenpumpen ist eine der Ursachen, warum die Aktienkurse, die wir heute sehen, mit der Performance der Unternehmen in der realen Wirtschaft nur wenig bis gar nichts mehr zu tun haben.
Wetten auf das Unglück anderer
Was ist in den letzten zwei Jahrzehnten passiert? Warum sind die Unternehmer der Realwirtschaft immer mehr in die Defensive geraten und in den Hintergrund gedrängt worden? Die Realwirtschaftler, also die Unternehmer von Industrie, Handel und Dienstleistungen, kämpfen seit jeher mit aller Kraft dafür, auf dem globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben und Europa als Binnenmarkt zu erhalten. Aber die Player wetten mit Leerverkäufen und derivativen Finanz-Produkten auf den Niedergang der Realwirtschaft und praktisch allem, was die Grundlagen unserer Marktwirtschaft bildet: Sie spekulieren mit Rohstoffen, wetten gegen Währungen, schließen Versicherungen, sog. Credit Default Swaps (CDS) auf den wirtschaftlichen Niedergang ganzer Staaten ab … – Sie wetten auf das Unglück anderer.
11.900 Lobby-Verbände bearbeiten die Gesetze der EU
Private Ratingagenturen definieren die Zinsniveaus von Staatsanleihen und damit die zukünftigen Steuerlasten der Steuerzahler. Die privaten Verluste der spekulierenden Investmentbanken und Hedgefonds, die in der Finanzkrise von 2007/2008 beinahe das globale Finanzsystem vernichtet hätten – Schlagwort too big to fail – wurden sozialisiert, also den Steuerzahlern aufgebürdet, während gleichzeitig die Steuerlasten für kleine und mittlere Unternehmen, das ökonomische Rückgrat unserer kleinstrukturierten österreichischen Wirtschaft, permanent steigen. Hinzu kommt, dass die Sparer durch Negativzinsen schleichend enteignet werden. Internationale Konzerne mit Abteilungen cleverer Juristen finden Steuerschlupflöcher in Offshore-Briefkästen, zahlen kaum oder überhaupt keine Steuern – und das ist fast immer völlig legal. Für die Legalität dieses Steuerbetrugs haben bezahlte Lobbyisten gesorgt, die Gesetzesentwürfe entwickeln und der EU-Kommission vorlegen. Im Transparenzregister der EU in Brüssel sind etwas mehr als 11.900 Verbände eingetragen, Unternehmen und Interessengruppen, die bezahlte Lobbyarbeit betreiben.
„Nach seinem Budget ist der größte Lobbyist in Europa zurzeit mit großem Abstand der Europaverband der chemischen Industrie (Cefic). Der Verband gibt seine Ausgaben für das Vertreten seiner Interessen gegenüber den EU-Institutionen mit 12 Millionen Euro im Jahr 2018 an, bei einem Gesamtbudget von 40,3 Millionen Euro. 23 Personen des Verbands haben eine Akkreditierung für das Europäische Parlament, die Gesamtzahl seiner Lobbyisten gibt Cefic mit 78 an“.
Hand auf Herz und Hirn: Welche Institution, welcher Pharmakonzern, welcher Digitalkonzern, welche Vermögensverwaltung, welche NGO würde Dutzende hochqualifizierter Lobbyisten in Brüssel und Berlin fürstlich honorieren, wenn sie nicht erfolgreich ihren ROI (Return on Investment) bringen würden?
toxische Finanzprodukte ruinieren die Realwirtschaft
Seit der Finanzkrise 2007/08 wurden die Interessenskonflikte und die wachsenden Gegensätze zwischen Realwirtschaft und Finanzderivaten immer offensichtlicher. Toxische Finanzprodukte wie Credit Default Swaps haben sich seit der Jahrtausendwende immer mehr ausgebreitet. Sie haben mit Entrepreneurship und Unternehmertum nichts gemeinsam, denn derivative Finanzprodukte sind keine Produkte, sondern virtuelle Konstrukte. Sie haben keine positive Auswirkung auf die Realwirtschaft, denn sie schaffen keine realen Werte.
Der Großteil der Derivate, Optionen, Puts, Calls, Swaps und die berühmt-berüchtigten Subprime- Konstrukte, die uns Finanzdesaster und Inflation beschert haben, sind Wetten, reine Nullsummenspiele ohne reale Wertschöpfung. Aber was sie für diese Art von Playern ganz besonders attraktiv macht: im Gegensatz zu realen Produkten und Dienstleistungen sind die Umsätze, die mit diesen Derivaten gemacht werden, gänzlich umsatzsteuerbefreit.
Auf jede Wurstsemmel wird Mehrwertsteuer erhoben, für kleine und mittlere Unternehmen besteht strenge Registrierkassenpflicht.
Aber bei sogenannten Leerverkäufen, bei denen praktisch nichts, also Leere verkauft wird, wird kein Cent an Umsatzsteuer eingehoben. Systematische Steuerbetrügereien in riesigen Ausmaßen mit fiktivem Aktienhandel zu Lasten der Allgemeinheit – wie beim Cum-Ex-Skandal durch einige Hedgefonds – sind ebenfalls bekannt und bilden gegen die beteiligten Politiker ein beachtliches Potential für mögliche Erpressungen.
Markwirtschaft bedeutet Freiheit, aber nicht Regellosigkeit
Ist das eine volkswirtschaftlich sinnvolle und gerechte Wirtschaftsordnung? Oder haben wir es hier mit einer Art digitalem Monopol-Sozialismus, mit der Privatisierung der Gewinne und der Sozialisierung der Verluste, zu tun?
Marktwirtschaft bedeutet Freiheit. Aber Freiheit bedeutet nicht Regellosigkeit. Wettbewerb bedarf klarer Regeln, deren Einhaltung durchgesetzt werden muss. Allerdings darf das Marktprinzip nicht durch politische Kommandos vom grünen Tisch aus ersetzt werden, indem alles im Detail festgelegt und geplant wird. Regelsetzung ist ein notwendiger Bestandteil von Innovations- und Entwicklungspolitik.
Das trifft in besonderem Maße auf die Finanzwirtschaft zu, die sich in den letzten zwanzig Jahren immer mehr von der Realwirtschaft abgekoppelt hat. Was wir in den letzten Jahren gesehen haben, widerspricht dem Geist und den Prinzipien der Marktwirtschaft und hat zu einer katastrophalen Fehlallokation ökonomischer Ressourcen geführt, die jetzt mit immer mehr zutage tritt.
Aber im Hintergrund bauen die großen Finanzgiganten ihre Machtposition ständig aus. Die Top Asset Management Companies heißen BlackRock, Vanguard und State Street.
Diese drei weltweit größten Finanzkonzerne verwalten Investorenvermögen in Höhe von mehr als 15 Billionen, das sind 15.000 Milliarden Dollar. Das ist ein Betrag von etwa 2.000 US-Dollar pro Kopf für jeden Menschen, der auf unserer Welt lebt. Diese Art von Konzernen, sogenannte Asset Management Companies, verwalten riesige Vermögen von Pensionsfonds, Hedgefonds oder Privatpersonen und gewinnen laufend an Macht und Einfluss.
Asset Manager machen aus viel Geld noch mehr Geld. Indem sie Anteile an großen Unternehmen kaufen, besetzen sie Schlüsselpositionen in deren Aufsichtsgremien und machen Druck auf Vorstände und Geschäftsführer, indem sie Geschäftsmodelle und Businesspläne zur kontinuierlichen Steigerung von Gewinnen durchsetzen. Mit Anteilen an den größten 15.000 Unternehmen der Welt und beinahe unbegrenztem Kapital für politischen Lobbyismus verfügen sie über eine bisher kaum dagewesene Machtfülle.
Die neue Ideologie des Virtualismus
Mit der Herrschaft der Finanzkonzerne ist die Vision der sozialen Marktwirtschaft der Vor-Millenniums-Ära Schritt für Schritt – und in der Öffentlichkeit lange Zeit unbemerkt – durch eine neue ökonomische Ideologie abgelöst worden: die Ideologie des Virtualismus.
Diese Ideologie des Virtualismus ist auf 3 Grundsätzen aufgebaut:
- Artikel 1: Nur ein Mensch, der sich von der Vorstellung befreit, er müsse arbeiten, um Geld zu verdienen, kann ein tüchtiger Virtualist sein.
- Artikel 2: Virtualismus ist ein Glasperlenspiel für Eingeweihte. Nur ein Mensch, der über Insiderinformationen und die Begabung für moralische Relativität verfügt, deren Freiheiten folglich über das konventionelle Niveau hinausreichen, kann ein tüchtiger virtueller Glasperlenspieler sein.
- Artikel 3: Der dritte und wichtigste Grundsatz dieser neuen Wirtschaftsideologie lautet: Nur ein Geschäft ohne reale Grundlage ist ein Business, das den moralischen Kriterien des Virtualismus entspricht. Nur ein Business ohne realwirtschaftlichen Hintergrund, bei dem weder Produkte hergestellt noch Dienstleistungen erbracht werden, ist nach den Wertmaßstäben der Virtualisten ein „gutes“ Geschäft.
Warum jede erwerbstätige Person den Käufern der Staatsanleihen mehr als 84.000 Euro schuldet.
Übrigens: Wenn Sie erwerbstätig sind, schulden Sie den Gläubigern der Republik zum gegenwärtigen Zeitpunkt virtuell etwa 84.000 Euro. Den aktuellen Schuldenstand der Republik, rund 332 Milliarden Euro, können wir auf der Website https://staatsschulden.at/ ablesen. Unsere Schulden steigen ständig – ohne dass Sie etwas dafür tun müssen.
Übrigens: Die unselbstständig Erwerbstätigen (ohne Lehrlinge) in Österreich erreichten ein mittleres Bruttojahreseinkommen von 29.458 Euro.
Während Sie diesen Text gelesen haben, sind Ihre Schulden wieder um ein paar Cent gestiegen – je nachdem, wie schnell Sie gelesen haben. Ich hoffe, das war es Ihnen wert. Ein kleiner Trost: mein Anteil am Schuldenstand aus den Schulden der Republik Österreich steigt ebenso wie Ihrer. Manchmal frage ich mich, warum keiner fragt, wem wir diese Schulden schulden, also wer unsere Gläubiger sind.
Ich hatte mal die Gelegenheit, diese Frage einem Vertreter eines österreichischen Think Tanks zu stellen.
Der wunderte sich sehr über die Frage.
Ich glaube, er hatte sie noch nie gehört und fand sie komisch.
Dann sagte er: „Unsere Gläubiger? Na ja, das werden die EZB, große Pensionsfonds, Vermögensverwaltungen und globale Finanzkonzerne sein …“
Es scheint, dass Organisationen, die Geld aus dem Nichts (in der Fachsprache „Fiat Money“) mit einfachen Mouse-Clicks produzieren können, das Geld auch gegen Zinsen an Staaten verleihen.
Womit wir wieder beim Anfang der Geschichte angelangt wären.